Mehrsprachige Leseförderung auf Rollen

Lesen gilt als Schlüsselkompetenz für den aktiven Spracherwerb und lebenslanges Lernen. Ohne Lesekompetenz sind Kinder in vielen Fächern mit Lernschwierigkeiten konfrontiert. Mehrsprachige Kinder aus einem sozio-ökonomisch schlechter gestellten Umfeld sind davon besonders betroffen. Kinder, denen oft vorgelesen wird, haben bessere Sprachkompetenzen. Ihnen fällt das Lesen lernen leichter und sie sind allgemein erfolgreicher in der Schule. Erzählen und Vorlesen ermöglicht Eltern, ihre Kinder im Bildungsprozess zu unterstützen – unabhängig von der Sprache, die sie dabei sprechen.

Ein ganzes Schuljahr begleiteten je zwei knallblaue Bücherkoffer die Schülerinnen und Schüler der zweiten Klassen der Mittelkanalschule. Abwechselnd rollten die auffallend hellblauen Koffer jeweils für eine Woche mit einem Kind nach Hause. Sie enthalten je zwölf Kinderbücher in bis zu 50 Sprachen und motivieren Familien zum Erzählen und Vorlesen auf Deutsch und in ihrer Familiensprache. Der Bücherkoffer ist damit ein Angebot für alle Familien und ermöglicht positive Leseerlebnisse– ob auf Deutsch, Türkisch, Arabisch oder Ukrainisch.

Die Mittelkanalschule schickte auf diese Weise zum ersten Mal die 24 verschiedenen Bücher in jede Familie ihrer rund 50 Zweitklässler*innen. Dabei rückt der Bücherkoffer die Familie als den ersten und wichtigsten Ort des Lesenlernens in den Fokus. Die besondere Wirkung des Programms liegt damit in der Förderung der Lesefreude und Sprachkompetenzen der Kinder. Beide bilden die Grundlage für den Erwerb der deutschen Schriftsprache in der Grundschule.

Sprachbildungskoordinatorin Katharina Monetova üverreicht den Kindern ihre Leseurkunden

Eine Förderung der EWE Stiftung ermöglicht der Mittelkanalschule die Programmteilnahme. Geschäftsführerin Dr. Stephanie Abke erklärt: „Mit den mehrsprachigen Bücherkoffern fördert die EWE Stiftung gleichzeitig Lesefreude, Sprachkompetenz und leistet einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit. Mir gefällt besonders, dass sich die Geschichten durch eine große Vielfalt in Bezug auf Herkunft, Sprache, Familie, Aussehen und andere Merkmale auszeichnen. Die mehrsprachigen Bücher sind ein schöner Anlass, um im Unterricht darüber zu sprechen, was uns trotz aller sichtbaren Unterschiede verbindet.“

Damit die Bücherkoffer freie Fahrt in die Familien haben, wurde den Kindern zu Beginn des Schuljahres von Sprachbildungskoordinatorin Katharina Monetova Regeln und Routinen des Programms auf spielerische Art genau erklärt. Nun, zum Abschluss des Bücherkoffer-Jahres, möchte sie mit den kleinen Lesern über die Geschichten und ihre Erlebnisse mit den Koffern sprechen. Danach überreicht sie den Kindern eine Urkunde, weil alle so viel gelesen und so gut auf die Bücherkoffer aufgepasst haben. Sie ist vom Bücherkoffer Programm überzeugt. In den nächsten Tagen werden die Koffer gründlich gereinigt und rollen im nächsten Schuljahr in den folgenden Jahrgang.

Entwickelt wurde das Programm vom Hamburger Verein coach@school. Programm Managerin Martina Böttcher betont die Notwendigkeit für Leseförderung über den Unterricht hinaus: „Jedes vierte Kind kann am Ende der Grundschulzeit nicht richtig lesen. Das zeigen die Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung 2021 (IGLU). Kindern Geschichten erzählen und ihnen vorlesen ist ein richtiger Turbo für den Erwerb von Sprach- und Lesekompetenz und obendrein ganz wichtig für die Eltern-Kind-Beziehung – und zwar in der Sprache, in der Familien sich am wohlsten fühlen.“

Hintergrund: Das mehrsprachige Bücherkoffer Programm für Grundschulen stärkt Kinder durch Lesen und Vorlesen in ihrer Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung und bindet Eltern aktiv mit ein. Damit setzt der Verein coach@school e.V. wissenschaftlich belegte Methoden aus der Lese- und Sprachförderung einfach und praktisch um. Gegründet und gestartet wurde das Programm 2016 in Hamburg. Allein in diesem Schuljahr rollt der Bücherkoffer voller spannender Geschichten in bis zu 50 Sprachen niedersachsenweit an 74 Schulen und erreicht rund 6.400 Kinder und ihre Familien.

Finanziert wird der Bücherkoffer Niedersachsen aus Mitteln der sogenannten „politischen Liste“ der Landesregierung zur Stärkung der Grundkompetenz Lesen, Schreiben, Rechnen inklusive Sprachförderung mit jeweils 100.000 Euro für das Jahr 2022 und 2023. Dank der Förderung der EWE Stiftung konnten zusätzliche Schulen am stark nachgefragten Programm teilnehmen. coach@school e.V. stattet die Schulen mit den Bücherkoffern aus und koordiniert die Umsetzung des Bücherkoffer Programms an den Schulen, z.B. durch Schulung der Lehrkräfte, praxisorientierte Begleitmaterialien, Unterrichtsideen zu den Büchern und vieles mehr. Die Sprachbildungsberater*innen der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung (RLSB) begleiten die Schulen dabei, mit Bücherkoffern und Familien bestmöglich zu arbeiten.